Rechtsanwalt Roland A. Stitz
1.Wechselmodell auch gegen den Willen des anderen Elternteils
BGH, Beschluss vom 01.02.2017, XII ZB 601/15
a)
Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.
b)
Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 15. Juni 2016 – XII ZB 419/15 FamRZ 2016, 1439). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen.
c)
Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes.
d)
Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15.Juni 2016-XII ZB 419/15- FamRZ 2016,1439).
2. Umgangsrecht der Großeltern
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2017 – XII ZB 350/16
a)
Gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann im Beschwerdeverfahren auch gegen den Willen eines Beteiligten ohne erneuten Erörterungstermin entschieden werden.
b)
Der Umgang der Großeltern mit dem Kind dient regelmäßig nicht seinem Wohl, wenn die – einen solchen Umgang ablehnenden – Eltern und die Großeltern so
zerstritten sind, dass das Kind bei einem Umgang in einen Loyalitätskonflikt geriete.
c)
Der Erziehungsvorrang ist von Verfassungs wegen den Eltern zugewiesen. Missachten die Großeltern diesen, lässt dies ein Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 1 BGB als nicht
kindeswohldienlich erscheinen.
d)
Das Familiengericht kann einen „Antrag“ der Großeltern auf Umgang bei fehlen-der Kindeswohldienlichkeit schlicht zurückweisen, weil es – anders als beim Um-
gangsrecht der Eltern – nicht um die Ausgestaltung eines bestehenden Um-gangsrechts geht, sondern bereits die Voraussetzungen für ein Umgangsrecht fehlen.
3. Entscheidungsbefugnis der Eltern, bei der Impfung des Kindes
BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017- XII ZB 157/16
a)
Die Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine sogenannte
Standard- oder Routineimpfung handelt.
b)
Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer solchen Impfung kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes
entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn
bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen.
c)
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken ist hierfür nicht erforderlich
4. Inhaber eines Sparkontos für Minderjährigen
BGH, Beschluss vom 17. Juli 2019 -XII ZB 425/18
a)
Kontoinhaber eines Sparkontos ist derjenige, der nach dem erkennbaren Willen des das Konto eröffnenden Kunden Gläubiger der Bank werden soll (Anschluss an BGH Urteile vom 25.April 2005 -IIZR103/03-FamRZ 2005, 1168 und vom 2.Februar 1994 -IVZR51/93- FamRZ 1994, 625).
b)
Daraus, dass die Eltern ein auf den Namen ihres minderjährigen Kindes angelegtes Sparbuch nicht aus der Hand geben, lässt sich nicht typischer-weise schließen, dass sie sich die Verfügung über das Sparguthaben vor-behalten wollen (Abgrenzung zu BGH Urteile vom 18.Januar 2005 -XZR264/02- FamRZ 2005, 510 und BGHZ 46, 198 =FamRZ 1967, 37).
c)
Für die Frage, ob einem Kind Ansprüche gegen seine Eltern wegen von diesen vorgenommenen Verfügungen über ein Sparguthaben zustehen, ist das Innenverhältnis zwischen Kind und Eltern maßgeblich; der rechtlichen Beziehung zur Bank kommt insoweit nur indizielle Bedeutung zu.
4. Anspruch auf Herausgabe des Reisepasses
BGH, BESCHLUSS vom 27.03.2019 XII ZB 345/19
a)
Der personensorgeberechtigte Elternteil hat wie auch der umgangsbe-rechtigteElternteil in entsprechender Anwendung der §§1632 Abs.1, 1684 Abs.2 BGB grundsätzlich einen Anspruch auf Herausgabe des Kinderrei-sepasses.
b)
Der Herausgabeanspruch besteht nur insoweit, als der berechtigte Elternteil für die Ausübung seines Rechts den Kinderreisepass benötigt.
c)
Die berechtigte Besorgnis, dass der die Herausgabe begehrende Elternteil mit Hilfe des Kinderreisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreiten (etwa das Kind ins Ausland entführen) will, kann dem Herausgabeanspruch entgegenstehen